Kommen und Gehen

If I go it will be trouble, if I stay it will be double

The Clash

Am Anfang waren die Kapverden nicht gerade wüst, aber leer, d.h. unbesiedelt. Ab dem 15. Jahrhundert setzte dann ein reges Kommen und Gehen ein. Wer tatsächlich als erster seinen Fuß auf eine der Inseln gesetzt hat, ist nicht wirklich geklärt.

Auf jeden Fall hatte im 15. Jahrhundert immer der portugiesische Prinz Heinrich der Seefahrer seine Finger im Spiel. Möglicherweise waren es aber auch viel früher Fischer von der afrikanischen Westküste, die allerdings andere Interessen hatten, als sich in die Geschichtsbücher einzutragen.

Die Besiedlung begann im Jahr 1461 mit portugiesischen Militärstationen auf den Inseln Santiago und Fogo und schon kurz darauf begann auch der Sklavenhandel, der mit einer 25-prozentigen Gewinnsteuer für die portugiesische Krone belegt war. Die Kapverden wurden zur portugiesischen Kolonie und 1513 fand die erste Volkszählung statt. Das Ergebnis: insgesamt 162 Einwohner, davon 58 Weiße, 16 freie Farbige und 12 Priester, außerdem Soldaten, Strafgefangene und etwa 13000 Sklaven.

Die meisten Siedler waren ohne Familie ausgewandert und bekamen Kinder mit schwarzafrikanischen Frauen – oft gegen deren Willen. Manchmal war aber auch Liebe im Spiel und das Paar heiratete. Das ist der Ursprung der hauptsächlich von Mulatten geprägten kapverdischen Bevölkerung. Und zur Verständigung zwischen Afrikanern und Portugiesen entstand eine einfache, nur gesprochene Sprache, das Kreol.

Durch den Sklavenhandel ging es mit Wirtschaft und Wohlstand steil bergauf. Das hatte aber auch seine Schattenseiten. Der Reichtum sprach sich rum und mehrfach wurden Ortschaften von Piraten geplündert. So z.B. Santiagos damalige Hauptstadt Ribeira Grande von Sir Francis Drake, der ganz offiziell mit einem Kaperbrief der englischen Königin Elizabeth ausgestattet war.

Im 18. Jahrhundert kam es zum großen Niedergang. Durch immer wiederkehrende lange Dürreperioden verhungerten große Teile der Bevölkerung und ebenfalls der Viehbestand. Außerdem hatte die unkontrollierte Abholzung der Inseln zu Erosion und Versteppung geführt. Der Betrieb der meisten Plantagen wurde eingestellt und die dort beschäftigten Sklaven wurden in die Freiheit entlassen. Für viele bedeutete diese neugewonnene Freiheit den sicheren Untergang, da sie keine Möglichkeiten hatten, sich zu versorgen. Und Hilfe aus dem Mutterland Portugal kam nicht. Dies hatte sein Augenmerk auf ein neues und viel lukrativeres Ziel gerichtet: Brasilien.

So begann der Exodus. Große Teile der männlichen Bevölkerung verließen die Inseln, die meisten in Richtung Neuengland nach Massachusetts und Rhode Island mit dem Versprechen an ihre Familien, dort hart zu arbeiten und sie nachzuholen oder nach Kräften zu unterstützen. Außerdem wurden besonders die Inseln Fogo und Brava von Walfängern angelaufen, um dort Besatzung anzuheuern und viele junge Männer nutzten diese Gelegenheit. Auch die Kakaoplantagen auf der Tropeninsel São Tomé hatten einen großen Bedarf an Arbeitskräften, beschäftigten viele Kapverder und trugen so zur Abwanderung der jungen männlichen Bevölkerung bei.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts brach die Wirtschaft endgültig zusammen. Im Ersten Weltkrieg kam der Seehandel weltweit fast zum Erliegen und die Kapverden wurden kaum noch angelaufen. Unterstützung aus Portugal gab es weiterhin nicht. Kolonien sollten Profite bringen und dem Staat nicht auf der Tasche liegen. Wer es irgendwie ermöglichen konnte, versuchte die Kapverden zu verlassen.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die günstige strategische Lage der Inseln von den Kriegsparteien erkannt und die Kapverden erlangten dadurch eine gewisse Bedeutung. Der Bevölkerung nutzte das aber nichts, im Gegenteil: in den Jahren 1945 bis 1948 kam es abermals zu einer Hungerkrise, bei der z.B. auf der Insel Santiago 65% der Bevölkerung starben. Hilfe aus dem Ausland blieb weiterhin aus, das war direkt nach dem großen Krieg mit anderen Dingen beschäftigt. So ist der Wunsch vieler Kapverder, ihrem Heimatland zu entfliehen, nur zu verständlich.

Die Emigration ist bis zum heutigen Tage ungebrochen und hartnäckig hält sich in weiten Teilen der Bevölkerung die Vorstellung, dass nur der eine Aussicht auf ein glückliches Leben hat, dem es gelingt den Kapverden den Rücken zu kehren. Laut einer aktuellen Umfrage in 2024 haben 64% der auf den Kapverden lebenden Bevölkerung den Wunsch, das Land dauerhaft zu verlassen. Und Emigration ist auch notwendig. Die Zuwendungen der in vielen Ländern der Welt lebenden Emigranten an ihre kapverdischen Familien stellen einen der größten Wirtschaftsfaktoren dar und sichern deren Lebensunterhalt. Vom Aussterben bedroht sind die Kapverden deshalb aber nicht. Im Jahr 1960 lag die Einwohnerzahl der Kapverden bei etwa 200.000 Personen, heute sind es weit über 500.000. Die Geburtenrate beträgt etwa das dreifache der Sterberate und so wird die Emigration mehr als ausgeglichen. Mehr Zahlen und Statistiken finden sich auf der Seite des Statistischen Bundesamtes.

Und dann gibt es seit einigen Jahrzehnten eine neue Wanderbewegung: die Touristen. Im Jahr 2023 hat die Anzahl der Touristen, die auf den Kapverden Urlaub machten, erstmals die Millionenmarke überschritten. Natürlich profitieren die großen Reisekonzerne am meisten, aber auch der Staat und Teile der Bevölkerung. Die Kapverden sind weltweit bekannter geworden und so gibt es auch eine stetig wachsende Zuwanderung von begüterten Ausländern, die sich dort niederlassen oder eine Ferienwohnung erwerben.

Viele Biographien der auf der Insel Fogo lebenden Menschen sind von diesem Kommen und Gehen geprägt. Zum Schluss dieses Beitrags dazu eine kleine Geschichte.

Renate hatte in ihrem früheren Leben in Deutschland als Sozialpädagogin gearbeitet, war zusammen mit ihrem italienischen Mann Luigi, der schon viel in Afrika gereist war, 1997 nach São Filipe gekommen und hatte dort ein Restaurant eröffnet.

Renate und ihr Mann gehörten zu den ersten Europäern, die diesen Schritt wagten und Renate wurde in den nächsten Jahren zu einer touristischen Institution in São Filipe. Legendär die Abende mit lokalen Musikgruppen und der Pudim de Café.

10 Jahre später merkte Renate, wie die Kräfte allmählich nachließen. Luigi war schon gestorben und der Wunsch nach einem ruhigen Leben ohne tägliche Verpflichtungen und Verantwortung wurde immer stärker.

An dieser Stelle kommt ein anderes Schicksal ins Spiel.

Amélia* wurde in Guinea-Bissau geboren und gehört zur Volksgruppe der Manjaka. Sie ist eines von 30 Kindern, die ihr Vater gemeinsam mit 7 Frauen hat. Um den Kriegswirren in Guinea-Bissau 1998/99 zu entgehen, siedelte die gesamte Familie nach Dakar um, wo es Amélias Vater als Händler und traditioneller afrikanischer Heiler zu einigem Wohlstand brachte.

2007 lernte Amélia einen jungen Kapverder kennen, der vor einiger Zeit nach Dakar gekommen war, um dort im Geschäft seines Onkels zu arbeiten. Besonders zufriedenstellend war diese Beschäftigung nicht und so beschlossen Amélia, ihre Schwester Patrícia* und D’jara nach São Filipe umzusiedeln und dort ihr Glück zu versuchen.

Amélia (Mitte) und die kapverdische Sängerin Lura

Nach einigem Hin und Her lernten sich Renate und Amélia kennen und schmiedeten einen Plan: Amelia übernimmt den Restaurantbetrieb von Renate und diese wohnt weiterhin in ihrer Wohnung auf der Dachterrasse – sozusagen mit Familienanschluss aber ohne Stress. Und die Frage nach einer Arbeit für Patrícia und D’jara war damit auch geklärt: Patrícia in der Küche und D’jara im Service.

* Der Name wurde geändert

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