Elastisch durch Raum und Zeit

Es gab das Gerücht, dass der allseits sehr beliebte Musiker Michel Montrond im Clube Tropical spielen sollte. Also fanden Galileu und ich uns dort auch so gegen 22.00 Uhr ein, tranken ein “Super” und harrten der Dinge. (Es gibt übrigens eine Gegend auf Fogo, da heißen fast alle mit Nachnamen Montrond und sind stolz darauf, denn sie gehen auf einen französischen Vorfahren zurück, der enorm reproduktiv war und auch alle Frauen zusammen mit den Kindern  versorgt hat, was ihm hoch angerechnet wird.)

Michel erschien kurz, grüßte freundlich in die Runde, war dann aber wieder weg. Galileu ahnte wohl schon was und meinte, wir könnten ja noch mal zu Dona Bia gehen. Dona Bia ist eine kleine zierliche Frau, hat eine ziemlich heruntergekommene Kneipe und wenn sie lacht, blickt man in das Gesicht einer koketten 17jährigen. Dabei ist sie 82 mit schlohweißen Pippi-Långstrump-Zöpfen. Außerdem sitzt sie auf einem großen Posten Heineken, den sie zu teuer eingekauft hat. 150 escudos will sie für die Flasche, keiner bezahlt das und folglich trinkt sie es eben alleine.

Galileu und ich nahmen wieder ein “Super” für 100 escudos und Dona Bia erzählte von Angola, ihrem Heimatland und Luanda, der schönsten Stadt der Welt. 1975 hat ihre wohlhabende Famile in den Kriegswirren das Land fluchtartig verlassen müssen und alles Hab und Gut zurückgelassen. Ihr Vater hätte damals – wie viele andere auch – Diamanten außer Landes bringen können. Nur, wer dabei erwischt worden ist, wurde auf der Stelle erschossen. Er hat es nicht gemacht und so ist die Familie bettelarm aber lebend auf den Kapverden angekommen.

Und Tochter Bia trinkt jetzt halt Heineken in ihrer schmuddeligen Kneipe und auch wir nahmen noch ein “Super”. Dann gingen wir wieder zurück ins Tropical, blieben dem “Super” treu und warteten auf Michel.

D.h. eigentlich wartete nur ich. Afrikaner warten nicht, sondern ergeben sich dem Müßiggang, was ein großer Unterschied ist. Warten ist irgendwie zielgerichtet, Müßiggang dagegen entspanntes Sein. Das ist sozusagen die männliche Grundstellung auf den Kapverden, die die Herren ungern und nur der Not gehorchend verlassen.

Tatsächlich begannen dann auch zwei Musiker zu spielen, aber eben nicht Michel. Später erfuhren wir, dass Michel an diesem Abend in Pipi’s Bar hängen geblieben war, wo er auf die eindringliche Bitte zweier Frauen hin dann auch Musik gemacht hat. Aber immerhin hatte er für Ersatz gesorgt und so schlecht waren die beiden ja nicht. Also nahmen wir noch ein “Super” und lauschten “Cor di rosa”, was Michel aber bestimmt besser gesungen hätte. Aber wie die meisten Kapverder bewegt auch er sich halt ganz elastisch durch Raum und Zeit.

Anfangs fand ich diese Einstellung zu Absprachen ziemlich irritierend, besonders als ich die Bauleitung für mein Haus in São Filipe machte. Einige Handwerker kamen und gingen mehr oder weniger wann es ihnen passte. Das wurde auch nicht erklärt, sondern schien selbstverständlich. Natürlich führte das auch zu einigen Verwicklungen – wie soll man Wasserleitungen in einer Wand verlegen, die noch gar nicht existiert, weil der Maurer mal 3 Tage Pause macht. Aber irgendwie bekamen sie es immer hin und nach einiger Zeit fiel mir auf, dass es am besten funktionierte, wenn ich mich raushielt. Ich glaube, meine kapverdischen Mitarbeiter waren mindestens genauso irritiert von meiner Manie, alles organisieren zu wollen wie ich von ihrem easy living.

Und dann muss man bedenken, dass den Leuten ein paar Jahrhunderte Sklaverei und Kolonialismus in den Knochen stecken. Vermutlich ist das Einhalten von Verabredungen irgendwie wie „gehorchen“, also zu Kreuze kriechen – und das bei einem Weißen. Das geht ja nun gar nicht. 

Später sprach ich mit einem kapverdischen Bekannten darüber, der auch gerade ein Haus baute. Der sagte nur lakonisch: „so ist das eben – bei mir genauso“. Hat also wohl doch nichts mit der Hautfarbe zu tun.

Und insgeheim bewunderte ich die Leute auch für diese Einstellung. Sie ließen sich im Strom des Lebens treiben und versuchten gar nicht erst, dem entgegenzuarbeiten oder eine eigene Richtung zu verfolgen – wie es kommt, ist es gut. Und ich mühte mich damit ab, meinen eigenen Willen dem Lauf der Dinge entgegenzusetzen. Damit waren Ärger und schlechte Laune vorprogrammiert – jedenfalls manchmal. Aber ich war nun mal ein typischer Europäer und niemand kann aus seiner Haut.

Wir saßen also noch im Tropical, aber dann sagten Freunde von Galileu, in der Bar Simples, die manchmal auch Bar Marcelina heißt, wäre heute vielleicht noch eine “show”. Die Bar liegt auf dem Heimweg, also schauten wir mal rein. Cabozouk und Funaná dröhnten aus ziemlich imposanten Lautsprechern und tatsächlich – die Attraktion waren zwei spitzenmäßig gestylte Mädels mit einem Hüftschwung, dass die Brille beschlägt. Ich bestellte zwei “Super” und dann wurden wir Zeugen erotischer Animationen, die jeder table-Tänzerin zur Ehre gereicht hätten. Männer wurden aus dem Publikum nach vorne geholt und durften dort unter dem Gejohle der Menge eine Minute lang ihre Funanákünste gemeinsam mit den Mädels unter Beweis stellen. Ich selbst hatte hinter einer Säule Deckung gesucht und war so dieser Erfahrung entgangen. Ausserdem war ich eigentlich auch schon hundemüde, aber dann kam Galileu mit zwei “Super” und so war der Abend dann doch noch nicht vorbei…

Auch die kapverdische Verwaltung kann elastisch. Sie wurde 1975, nachdem das Land in die Unabhängigkeit geraten war, von den Portugiesen, die für ihre ausgefeilten Verwaltungsvorgänge berühmt waren, an die Kapverder übergeben. Diese Prozesse eins zu eins zu übernehmen war eine bürokratische Herkulesaufgabe, die das Vermögen der neuen Beamten in vielen Fällen überstieg. Ihre Fantasie war schlichtweg nicht ausreichend, um sich in die Komplexität der portugiesischen Verwaltungsabläufe einzuarbeiten. Diese haben eine innere Logik, die manchmal sehr verschlungenen Pfaden folgt und nicht immer deutlich zu erkennen ist. Man kann diese Abläufe aber auch durchaus kreativ gestalten und sich von dem eigenen Empfinden oder seinen Eingebungen leiten lassen.

Die Verlängerung meiner Daueraufenthaltsgenehmigung zum Beispiel zog sich über Jahre hin. Eine Zeitlang war der Vorgang nicht mehr auffindbar, dann tauchte er in einem anderen Amt wieder auf. Dort herrschten dann aber andere Spielregeln, neue Dokumente waren erforderlich und andere, die ich schon eingereicht hatte, fehlten plötzlich. Gott sei Dank konnte ich mit einer Quittung nachweisen, dass ich sie schon abgegeben hatte, woraufhin der Bürovorsteher entschied, dass man auch auf sie verzichten könnte. So ging es hin und her und als ich schon dachte, nun endgültig im bürokratischen Sumpf unterzugehen, wurde ich in das Büro des Verwaltungschefs gebeten, der mir mit strahlender Miene und völlig überraschend meine neue Daueraufenthaltsgenehmigung aushändigte.

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